Tutzinger Radiotage 2015

21. bis 23. Juni, Akademie für politische Bildung

Jugend und Radio — sowie drei weitere Herausforderungen für Radiomacher

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Der Abgesang auf das Radio dauert mittlerweile gefühlt so lang, wie es das Radio gibt: Tagung für Tagung diskutieren Radiomacher, wie man ihr Medium noch retten könnte. So auch auf den Tutzinger Radiotagen. Eine Begründung: Junge Menschen hören kaum noch Radio.

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Quelle: Reuters Digital News Report 2015

Direkt am Abgrund stehe das Radio aber dann doch nicht, erzählt Christian Vogg auf den Tutzinger Radiotagen. Er arbeitet bei der European Broadcasting Union (EBU), dem Dachverband für die Rundfunkanstalten Europas.

Gründe für die Entwarnung:

  • Dem Medium Radio wird europaweit das größte Vertrauen entgegen gebracht.
  • Radio ist im Katastrophenfall die beste Informationsquelle.
  • Die Masse der Hörer hat nicht abgenommen, es wird nur etwas kürzer gehört.
  • Radio ist live, nebenbei hörbar und überraschend.

Trotzdem müssen sich Radiomacher auf die Veränderungen des Medienkonsums einstellen. Vier Themen, über die sich Radiojournalisten Gedanken machen sollten:


Herausforderung 1: Radio funktioniert online noch nicht

Zwar wird das Internet durch die mobilen Nutzungsmöglichkeiten immer präsenter und verändert das Nutzungsverhalten enorm – das Radio ist davon aber noch kaum betroffen. Smartphones sind eine der drei Gefahren, die Radiomachern drohen, so Christian Vogg. Der Grund: Mit ihnen Radio zu hören, ist zu teuer.

Wenn Radio mobil gestreamt wird, dann meist nur über WLAN. Kaum jemand sei bereit, sein Datenvolumen für Nachrichten und Co. zu verbrauchen, wenn er sie auch günstiger lesen könne.

Vogg plädiert deshalb für die Entwicklung von Smartphones, die auch UKW und Digitalradio empfangen können.

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Quelle: Reuters Digital News Report 2015


Herausforderung 2: Radio muss personalisierter werden

Die Konkurrenz wächst im digitalen Zeitalter. „Wir brauchen kein Radio mehr, um Nachrichten zu konsumieren“, sagt Vogg. Die Ablenkungen und Alternativen sind durch die massive mobile Nutzung immer größer geworden, Voggs Ansicht nach laufen die Radiosender den Bedürfnissen ihrer Hörer immer nur hinterher.

Das lässt sich auch an den Zahlen sehen: Zwar liegt die europaweite Hördauer am Tag bei durchschnittlich 3 Stunden und 2 Minuten – junge Menschen hören aber fast gar kein Radio mehr.

Seine Antwort auf dieses Problem: Das Hybrid-Radio. Eine Mischung aus analog und online, mit Zusatzangeboten, die dem Nutzer auf dem Smartphone angezeigt werden. Beispielsweise ein Bonustrack, der bei Lust und Laune auf dem Display angeklickt werden kann.

Auch das Wortprogramm müsse sich daran anpassen – beispielsweise solle der Hörer die Möglichkeit haben, zwischen kurzen und längeren Beiträgen zu gewünschten Informationen zu wählen. So soll verhindert werden, dass sich der Konsument seine Informationen woanders holt und für Musik nur noch Streamingdienste verwendet.

Christian Vogg präsentiert seine Wunsch-To-dos für Radiojournalisten im Panel "Radio im Wettebewerb der neuen Medienwelt", Inge Seibel-Müller fragt nach.

Christian Vogg präsentiert seine Wunsch-To-dos für Radiojournalisten im Panel „Radio im Wettebewerb der neuen Medienwelt“, Inge Seibel-Müller fragt nach.


3. Radiomacher müssen mehr über ihre Hörer wissen – in Echtzeit

Und wie soll das technisch funktionieren? Das einfachste Modell wäre eine Radioapp, in der sich der Nutzer ein Profil anlegt, Präferenzen über Beitragslängen, Musik und Themen angeben kann. Darüber hinaus können laut Vogg auch die Metadaten enorm wichtig werden: Radiowerbung personalisieren, an bisher gehörtem oder weiter geklicktem Content entscheiden, was dem Hörer besser gefallen könnte. Personalisierung funktioniert aber nicht ohne Informationen – Hörer müssten also getrackt werden. Die Datenschutzdebatte könnte also auch noch im Radiobereich landen.


4. Radio muss auch im Auto überleben

Der Hörer sitzt im Auto, und das vor allem morgens. Diese Hörergruppe dürfe man auf keinen Fall verlieren, so Vogg. Die EBU stehe in Kontakt mit Automobilherstellern, um die Radionutzung auch im Auto weiterhin hoch zu halten. Allerdings sieht er in diesem Bereich Konkurrenz von Marken wie Google oder Apple, die sich auch gern auf diesem Markt ausbreiten würden und eher weniger Interesse an kostenlosen Diensten hätten. Konkrete Informationen über Projekte sind noch unbekannt.

3 Kommentare

  1. Vielleicht ist Audio auch gar nicht das richtige Medium für News, sondern mehr für Geschichten, Erklärungen, Diskussionen.

  2. Ich glaube nicht, dass man mehr über die Hörer wissen muss, um gutes Radio zu machen. Natürlich ist es sinnvoll und nötig, feedback einzuholen; aber dazu braucht man keine tracking-Verfahren, sondern lediglich die üblichen Kommunikationskanäle, die natürlich gepflegt werden müssen sowie allem voran ein gutes Programm. Tracking-Verfahren halte ich vielmehr für sehr kritisch, da ich mir von keinem Algorithmus meine Hör-Präferenzen vorgeben lassen beziehungsweise mich gern von Produktionen, die nicht meinem üblichen Hörverhalten entsprechen, überaschen und überzeugen lassen will.

    Leute sollen mehr Radio hören, eigentlich immer und überall und ausschließlich — oder zumindest die Podcasts, so der laute Ruf der Radiomacher. Zu Recht. Nur dürfen die zunehmend schlechten Bedingungen nicht außer Acht gelassen werden, unter denen das Programm (zumindest im öffentlich-rechtlichen Bereich) auf die Beine gestellt wird: Von (den in Deutschland überwiegend freien) Autoren wird mehr Leistung in kürzerer Zeit und zu schlechterer Bezahlung verlangt. Sendeplätze werden gekürzt, aufwändigste Produktionen nachts gesendet; in vielen privaten Sendern geht die Tendenz zu 1-Minuten-Beiträgen (oder kürzer), weil man befürchtet, die Hörer zu überfordern (oder aus anderen, mir nicht bekannten und nicht nachvollziehbaren Gründen). Obwohl ich das traurig finde ist das kein Grund, ein Lamento anzustimmen, denn gleichzeitig entsteht auch viel Neues (Podcasts zum Beispiel). Nur ist mir schleierhaft, wie man unter diesen Bedingungen ein hochwertiges Programm auf die Beine stellen will, was meiner Ansicht nach Voraussetzung dafür ist, mehr Hörer zu gewinnen.

    Was bringt einem Sender die beste social-media-Strategie, was bringen neue Techniken zur Erhebung von Hörverhalten, wenn den Programmmachern der Boden unter den Füßen weggezogen wird; sprich, wenn die notwendigen finanziellen und zeitlichen Ressourcen sowie Raum und Zeit für die Erarbeitung neuer Konzepte nicht ermöglicht werden? (Dies gilt freilich nicht allgemein, scheint aber häufig der Fall zu sein.)

  3. Pingback: Wie das Radio überlebt | Axinja Weyrauch

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