Beim Workshop „Recherche“ auf den Tutzinger Radiotagen war „back to the roots“ angesagt. Schließlich ist Recherche der Grundstock jeglicher journalistischen Arbeit. Die Teilnehmer waren in Rollenspielen mit harten Pressesprechern konfrontiert, reflektierten das, rekonstruierten Fälle mit einem Kriminaler und hörten von Investigativjournalist David Schraven einiges über die Recherche auf Basis von Daten.
Ein paar grundsätzliche Erkenntnisse von Ann-Kathrin Büüsker und Axinja Weyrauch.
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Erst Beobachten, dann interpretieren
Oft erschließt sich das Hirn schon in Sekunden, wie was zusammenhängen könnte, ohne erst einmal die Gegebenheiten zu sammeln und in Ruhe zu beobachten. Vom Kriminaler gelernt: Erst interpretieren, wenn alle Informationen und Beobachtungen gesammelt sind. Sonst ist der Journalist voreingenommen und vergisst andere mögliche Wege.
Ein Beispiel (die Bilder echter Tatorte aus der Präsentation dürfen wir natürlich nicht zeigen).
Was ist passiert?
Die erste Assoziation: Jemand hat den Kuchen gegessen. Ha! Zack! Interpretation! Beobachten. Ein Stück Kuchen auf einem Teller. Daneben jede Menge Krümel. Es fehlt ein Stück. Aber: Es gibt keine Gabel! Wir brauchen weitere Informationen, um die Frage was passiert ist wirklich klären zu können.
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Informationen direkt zu ihrem Ursprung verfolgen
Schon ein kleiner Nebensatz eines Interviewpartners kann ausreichen, eine Information unterbewusst als gegeben anzusehen – aber auch jeder kleinste Hinweis sollte bis zu seinem Ursprung verfolgt werden. Informationen aus zweiter Hand können leicht in die Irre führen.
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Vor Interviewanfragen – vor allem an Pressesprecher – so viele Hintergründe sammeln, wie nur irgendwie möglich
Gerade im hektischen Radioalltag passiert es schnell, dass das Interview ansteht, bevor überhaupt alle möglichen Recherchewege begannen wurden. Die Hoffnung liegt dann in den O-Tönen des Interviewpartners. Damit bekommt dieser zu viel Einfluss auf die Geschichte – gerade bei kritischen Themen eine schwierige Nummer. Ganz blöd wird es, wenn beispielsweise ein Pressesprecher, dessen Vorgesetzten mit Vorwürfen konfrontiert sind, diese Unwissenheit bemerkt und dann ganz schnell die Kompetenz des Journalisten in Frage stellen kann.
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Mit Experten zusammenarbeiten
Informationen gibt es nicht unbedingt nur bei den dafür zuständigen Stellen und Behörden. Diese geben ihre Daten manchmal nicht oder nur in Teilen heraus. Deswegen auch Experten, beispielsweise Professoren, anfragen, die zum Thema forschen.
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Mit Daten arbeiten
Gerade für Lokalsender können Datensätze eine wahre Goldgrube ein. Ein Ministerium gibt Daten über die Qualität von Pflegeheimen heraus. Vergleicht der Journalist nun mal die Daten seines Sendegebietes und entdeckt Auffälligkeiten, ergeben sich einige Geschichten.
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Persönliches Interesse für das Thema
Wer nicht von sich aus alles wissen will, ist in seiner Recherche vermutlich auch weniger gründlich. Emotionale Nähe kann die Hartnäckigkeit fördern. Wichtig nur, dass man noch genug Abstand behält um nicht befangen zu sein. Alles außer dieses persönliche Brennen für ein Thema sollte zweitrangig sein. Es ist gut, eine eigene Haltung zu entwickeln. Natürlich auf Basis der Fakten!
- Zeit einplanen
Gute Recherche braucht Zeit. Eigentlich ist diese Tatsache wirklich jedem bewusst, aber trotzdem handeln wir im Alltag oft gegen dieses Wissen. Deshalb müssen wir uns diesen Punkt ganz besonders hinter die Ohren schreiben. Eine ordentliche Recherche ist eben nicht mit einem Anruf in der Pressestelle getan, sie braucht im Zweifelsfall auch mal einen Tag länger – und das muss man einplanen. Dann hat ein anderes Medium die Geschichte halt vor uns. Wir haben sie dann aber am nächsten Tag umfangreicher und vor allem: richtig!
- Geld bezahlen
Gute Recherche kostet Geld. Arbeitgeber müssen Honorarsysteme schaffen, die gute Recherche belohnen. Es darf nicht so sein, dass der unreflektierte Schnellschuss sich mehr lohnt, als saubere Arbeit. Recherche muss bezahlt werden!
- Teilen – um der Geschichte wegen
Viele Journalisten sitzen auf ihrer Geschichte, wie ein Drache auf seinem Hort. Auf dass bloß kein anderer etwas zu dem Thema macht! Dabei kann mein gemeinsam viel mehr erreichen, kann umfangreicher recherchieren, sich gegenseitig unterstützen. Die Geschichte wird größer, wenn sie geteilt wird und erhält damit viel mehr Bedeutung. Weg vom Ego-Journalismus!